Am 31. März 1945 rückten die amerikanischen Kampfverbände aus Wiesbaden ab und wurden durch Einheiten ersetzt, die sich um die dauerhafte Wahrung der Interessen der Besatzungsmacht in dem bereits befreiten Gebiet zu kümmern hatten. Tatsächlich aber widmeten sich die Verantwortlichen des »Military Governments (MG) Detachment F1D2« (Stadtkreis Wies-baden) und des »MG E1A2« (Regierungsbezirk Wiesbaden) von Anfang an einem viel breiteren Aufgabenspektrum – beispielsweise der Beseitigung von Versorgungsengpässen und der Stabilisierung der öffentlichen Ordnung. Die großzügige amerikanische Hilfe zur deutschen Selbsthilfe trieb die Aufräumarbeiten voran und milderte die Alltagsnöte der Wiesbadener Bevölkerung. An eigenem Personal standen dem amerikanischen Militärkommandanten, Lt. Colonel Leroy Cowart, nur zwölf Offiziere und zwanzig Mann zur Verfügung. Er war auf deutsche Partner angewiesen. Diese sollten vertrauenswürdig sein, Stadt und Kreis »aus dem Effeff (ex forma, ex functione) kennen« und über das notwendige Verwaltungswissen verfügen, um große Probleme auch mit beschränkten Mitteln zu lösen. Trotz des »Fraternisierungsverbots (Instruction JCS 1067)« machten sich die Amerikaner auf Personalsuche und wurden dank guter Vorbereitung prompt fündig. Sie wussten um den Rechtsanwalt Georg Krücke, der 1933 aus seinem Amt als Wiesbadener Oberbürgermeister gedrängt worden war und sich danach als geschäftsführender Gesellschafter eines Limburger Dampfwalzen-Herstellers durchs Leben geschlagen hatte. Die Amerikaner setzten den 65-jährigen Georg Krücke am 21. April 1945 wieder als Wiesbadener Oberbürgermeister ein. Obwohl er für Verwaltungszwecke nur wenige Räumlichkeiten nutzten konnte, obwohl große Personallücken klafften und die Akten bestände durch gezielte NS-Vernichtungsaktionen ausgedünnt waren, machte Georg Krücke seine Sache gut – auch weil ihm der amerikanische Stadtkommandant Lt. Colonel Leroy Cowart weitgehend freie Hand ließ. Cowart betonte immer wieder, die Deutschen sollten nicht dauernd nach den Amerikanern schielen, wenn mal ein Fehler passiere, dann werde die Militärregierung daraus keine Staats -affäre machen – nur bei systematischen Fehlleistungen werde eingegriffen. Eine ähnlich unkonventionell, pragmatische Haltung bewiesen die Amerikaner auch in einem anderen Fall. Bereits am Tag des amerikanischen Einmarsches, dem 28. März 1945, hatte Heinrich Roos, Mitarbeiter des Wiesbadener Steueramts, Freunde und Mitstreiter aus dem zivilen Widerstand gegen das NS-Regime zu einer Besprechung eingeladen. Sie verabredeten die Einrichtung des »Aufbau-Ausschusses Wiesbaden« (AAW), mit dessen Hilfe die Re-Demokratisierung in der Stadt unterstützt und die Arbeitsfähigkeit der Stadtverwaltung wiederhergestellt werden sollte. Obwohl die Durchführung solcher Treffen gegen das von den Amerikanern verfügte Versammlungsverbot verstieß, erteilte die US-Militärregierung dieser Eigeninitiative engagierter Frauen und Männer letztlich ihren Segen. Die AAW-Mitglieder zögerten nicht lange und begannen, sich nützlich zu machen – bei der Verteilung von Wasser, Nahrungsmitteln und Brennstoffen, der Erfassung und Beseitigung von Kriegsschäden, dem Wiederaufbau des Gesundheitswesens… Nach getaner gemeinnütziger Arbeit erwartete niemand von ihnen zu Hause eine üppige Mahlzeit oder eine behagliche Wohnung. Was sie leisteten, war kein bequemer »Neubeginn«, sondern ein mühsamer »demokratischer Wiederbeginn« inmitten von Chaos, Elend und Not.