Als die amerikanischen Truppen am 27. März 1945 in Richtung Wiesbaden vorrückten, trafen sie auf keinerlei Widerstand. Die Wehrmacht sowie die letzten SS- und Polizei-Verbände hatten die Befehlsstelle im Polizeipräsidium geräumt, die Nazi-Funktionäre waren geflüchtet. Zu ihnen zählte auch Bürgermeister Piékarski, der noch zwei Tage zuvor zu einem rabiaten Endkampf aufgerufen hatte: »Chaos schadet dem Feind, Ordnung schadet uns. Die Bevölkerung ist in die Gegend von Schlüchtern zu evakuieren. Dort baue ich eine Leitstelle Wiesbaden auf. Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke sind zu sprengen. Ich hoffe, die Herren der Stadtverwaltung nach dem baldigen Endsieg wieder zusammenrufen zu können. Es lebe der Führer!«  Den Versuchen, diese »Politik der verbrannten Erde« in die Tat umzusetzen, traten einige führende Beamte der Stadtverwaltung mit Erfolg entgegen. So gelang es Stadtkämmerer Dr. Heß und Verwaltungsrat Reeg mit Unterstützung des Kommandeurs des Wehrbezirks Wies-baden, Oberst Zierenberg, die bereits angelaufene Sprengung öffentlicher Versorgungseinrichtungen zu stoppen. Ein von Dr. Heß unterzeichneter Aufruf an die Wiesbadener Bevölkerung zeigte Wirkung – sie harrte aus und bewahrte Ruhe. Der Einmarsch der Amerikaner am 28. März 1945 vollzog sich dementsprechend reibungslos. Auch in den Folgetagen machte niemand Anstalten, dem von Joseph Goebbels via Rundfunk verkündeten »Werwolf«-Aufruf Folge zu leisten. Er hatte einmal mehr einen rücksichtslosen Kampf jedes Deutschen bis zur »Selbstvernichtung« gefordert: »Für die Bewegung sind jeder Bolschewist, jeder Brite und jeder Amerikaner auf deutschem Boden Freiwild. Wo immer wir eine Gelegenheit haben, ihr Leben auszulöschen, werden wir das mit Vergnügen und ohne Rücksicht auf unser eigenes Leben tun.« Der Kontrast zwischen diesen Mord-Phantasien und einer der zentralen Aussagen der zweisprachigen Proklamation Nr. 1 von General Dwight D. Eisenhower konnte kaum größer sein. Auf den Plakaten, die in allen Gebieten verteilt und aufgehängt wurden, in denen die Macht des NS-Regimes gebrochen war, hieß es: »Wir kommen als ein siegreiches Heer, jedoch nicht als Unterdrücker.«