Bereits am 1. Mai 1952 feierte der Begriff »Wirtschaftswunder« in einer bundesweiten, ganzseitigen Anzeigenkampagne seine Premiere. Der Begriff schrieb Geschichte, war seiner Zeit aber um Einiges voraus. Noch 1960 lebten zahlreiche Menschen unter sehr beengten Verhältnissen – im Bundesgebiet war ein Sechstel aller Wohnungen mit mehr als einem Haushalt belegt. Tatsächlich aber übertraf das Tempo des wirtschaftlichen Aufschwungs in den 1950er und 1960er Jahren alle Erwartungen – viele Fachleute hatten mit einem Zeitbedarf der Erholung von mehreren Jahrzehnten gerechnet. Von 1952 bis 1960 stiegen die Investitionen in der Bundesrepublik um 120 Prozent, das Bruttosozialprodukt nahm um 80 Prozent zu, die Export-Wirtschaft boomte. Die Zahl der Erwerbstätigen wuchs von 1950 bis 1960 um 4,5 Millionen auf 26,5 Millionen. Die Arbeitslosenquote sank im gleichen Zeitraum von elf auf 1,3 Prozent. Es herrschte Vollbeschäftigung, einzelne Branchen klagten über einen Arbeitskräftemangel. Dem Elend der unmittelbaren Nachkriegszeit viel schneller als erwartet entkommen zu sein, bedeutete nicht nur eine große Erleichterung, es verschaffte den Deutschen auch ein neues Selbstbewusstsein. Manche rechnen noch heute das rasante Wiedererstarken der deutschen Wirtschaft allein dem Fleiß seiner Einwohner zu. Andere stellen nur den Marshall-Plan und die von den Amerikanern organisierte Währungsreform in den Fokus. Diese beiden einfachen Erklärungsmuster verweisen viele volkswirtschaftliche Experten mittlerweile ins Reich der Mythen.

Tatsächlich verantwortlich für den unerwarteten Erfolg sei ein ganzes Ursachen-Bündel gewesen. Doch wie dem auch sei – eines zeichnete diese Zeit ganz besonders aus: Die Einkommens- und Lebensverhältnisse aller Bevölkerungsgruppen verbesserten sich. Die Zukunft schien verheißungsvoll. Wie in einem »Fahrstuhl« ging es langsam, aber scheinbar unaufhaltsam »nach oben«. Der »Wohlstand für alle« bescherte wenigen ganze Torten, vielen recht kleine Kuchenstücke. Das Klischee vom unersättlichen Wohlstandsbürger, der sich von einer großen »Fresswelle« mitreißen ließ, unterschlägt, dass die meisten westdeutschen Haushalte lange eisern sparen mussten.  Vorrang vor häufigem und schnelllebigem »Ex-und-Hopp«-Konsum hatten die Verwirklichung des Traums von den eigenen vier Wänden und die Anschaffung langlebiger Güter wie Autos, Möbel, Kühlschränke und Staubsauger.  Häuslichkeit prägte nicht nur den werktäglichen Feierabend, sondern auch das lange Wochenende. Arbeit in Haus und Garten, die Lektüre der Tageszeitung, das Radio oder der Plattenspieler bildeten das Zentrum der Freizeit. 

Einen besonderen Stellenwert genossen Kinobesuche: Lange zurück lagen die Nachkriegsjahre, da Zuschauer – meist in provisorisch hergerichteten Gebäuden – bei Wochenschauen der Alliierten, Hollywood-Filmen, britischen oder französischen Produktionen mit deutschen Untertiteln und Filmen, die in Deutschland vor 1945 entstanden waren und die die Zensur der Militärbehörden passiert hatten, nach etwas Ablenkung von ihren Existenzsorgen suchten. Das Kino – gestern noch eine Art Notunterkunft in schwerer Zeit – wurde zum Palast der Wirtschaftswunder-Gesellschaft. Zwischen 1950 und 1959 stieg in der Bundesrepublik die Zahl der »Lichtspielhäuser« von knapp 4.000 auf über 7.000 an. Auch der Anteil einheimischer Neuproduktionen erhöhte sich stark und Wiesbaden war als »Filmstadt« damals ganz vorne mit dabei – beispielsweise als Drehort des Spielfilms »Wenn der weiße Flieder wieder blüht« von 1953, in dem Romy Schneider und Götz George erstmals zu sehen waren. Volle Häuser, volle Kassen: Der westdeutsche Kino-Boom erreichte mit 817 Millionen Kino-Besuchern 1955/56 einen Höhepunkt. Der Neustart von Filmen wurde mit »Verbeugungstourneen« ihrer Stars, Sternchen und Regisseure in Szene gesetzt – das Publikum konnte mit seinen Leinwandheldinnen und -helden auf Tuchfühlung gehen. Das »Kino an der Ecke« hatte landauf, landab einen festen Platz im Wochenablauf der Familie mit Kindervorstellung, Jugendvorstellung, Hauptprogramm und Spätvorstellung.  Ende der 1950er begann sich ein Ende dieser Epoche abzeichnen. Der Vormarsch des Fernsehens, die Erhöhung der Mobilität und die Erweiterung des Freizeitangebots blieben nicht ohne Folgen – in den 1960er Jahren begann das große Kinosterben. Und die Amerikaner? In ihrer abgeschirmten Welt bot ihnen die US-Unterhaltungsindustrie stets das Neuste vom Neuen – beispielsweise in Form von Hollywood-Streifen und Schallplatten. Regelmäßig wurden berühmte Musiker, Schauspieler und Show-Größen zu exklusiven Sondervorstellungen eingeflogen.