Für die amerikanische Militärregierung stellte die Entnazifizierung die Grundvoraussetzung für die Demokratisierung Deutschlands dar – wer sich in der NS-Zeit schuldig gemacht hatte, sollte aus Ämtern entfernt und bestraft werden. In den ersten Monaten nach Kriegsende wurden in der amerikanischen Besatzungszone etwa 80.000 verdächtigte Personen aufgespürt, verhaftet und in Internierungslager gebracht. Zeitgleich kam es zu einer Entlassungswelle von circa 70.000 NS-Parteigenossen, vornehmlich aus behördlichen Leitungsfunktionen. Bei einem »Weiter so« dieses Großreinemachens drohte eine Lahmlegung von Forschungseinrichtungen, Universitäten, Gerichten, Polizeidienststellen und anderen Institutionen – in Folge eines akuten Personalmangels, besonders im Bereich der Funktionseliten. Doch die Amerikaner brauchten massenhaft Deutsche als Aktivposten der Chaosbewältigung. Da es diesem Sachzwang zu entsprechen galt und die Kontrollmächte eine hinreichende Loyalität der Deutschen als gegeben ansahen, wurde ein Ausweg gesucht und gefunden: Mit dem »Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus« vom 5. März 1946 wurde deutschen Spruchkammern die Beurteilung persönlicher Verfehlungen verdächtigter Personen zugewiesen. Diese »Laienbürokratie mit schöffengerichtlicher Verfassung« hatte zu entscheiden, ob jemand der Gruppe der Hauptschuldigen (I), Belasteten (II), Minderbelasteten (III), Mitläufer (IV) oder der Entlasteten (V) zuzurechnen war. In den drei Westzonen kamen die Spruchkammern in Verfahren, in denen sie über 2,5 Millionen Personen entschieden, zu folgender Einstufung: – 0,6 Prozent anerkannte NS-Gegner – 1,4 Prozent Hauptschuldige und Belastete – 54 Prozent Mitläufer. In 34,6 Prozent der Fälle wurde das Verfahren eingestellt. Wie kam es zu diesem recht erstaunlichen Ergebnis? Den von den Spruchkammern Vernommenen wurde abverlangt, selbst Entlastungsmaterial beizubringen. Diese »Beweislastumkehr« hatten Betroffene zunächst als rechtliche Zumutung angeprangert – doch viele wussten sie zu nutzen. Sie legten massenhaft echte und weniger echte Entlastungszeugnisse von jüdischen Überlebenden, Widerstandskämpfern, Arbeitskollegen, Freunden und Bekannten vor – in Anspielung auf ihre Bleichkraft bei braunen Flecken »Persilscheine« genannt. Die Einstufung als »Mitläufer« und die Einstellung des Untersuchungsverfahrens bedeutete, dass die zweifelhafte Vergangenheit erst einmal nicht mehr zur Debatte stand. Was von den Spruchkammern an Belastendem erst gar nicht erfasst oder unter den Teppich gekehrt worden war, blieb auch dort. Nicht nur die unmittelbar Betroffenen forderten einen Schlussstrich, auch viele andere Deutsche wollten fortan mit ihrer jüngsten Vergangenheit nicht mehr behelligt werden.