„… etwas Besseres als den Tod findest du überall!“
Das Kriegsende gewährte den deutschen Überlebenden das Ende von Bombardements, Vernichtung und Tod. Doch der unmittelbaren Zukunft sahen viele mit Bangen entgegen. Ein Blick zurück in die Weimarer Zeit kann helfen, die tiefe Verankerung dieser angststarren Erwartungshaltung zu verstehen. In den 1930er Jahren waren Demokratiefeindlichkeit und Rassismus weit verbreitet und keine Alleinstellungsmerkmale der NSDAP. Was deren Ideologie auszeichnete, war die zwanghafte Vorstellung, dem deutschen Volk drohe der Untergang, wenn es seine vermeintlichen »Feinde« nicht rechtzeitig ausschalte und liquidiere. Der Behauptung eines Überlebenskampfes, der nur mit totalem Sieg oder totaler Vernichtung enden könne, folgten entsprechende Taten – die Shoa sowie ein gnadenloser Angriffs- und Vernichtungskrieg. Angesichts der von Deutschen bis 1945 begangenen ungeheuren Verbrechen erwarteten die allermeisten von ihnen eine gnadenlose Rache der Siegermächte. Diese blieb zumindest im Herrschaftsbereich der Westmächte und insbesondere der amerikanisch besetzten Zone aus. Eine weit verbreitete Reaktion war fassungslose Sprachlosigkeit und die Bereitschaft, sich auf die neuen Lebensumstände einzulassen – »etwas Besseres als den Tod findest du überall!« Doch eine ganze Reihe von Deutschen zeigte sich weniger genügsam und trat an die neuen Machthaber mit zahllosen Versorgungsbegehrlichkeiten heran. In dem Protokoll der MGO-Besprechung vom 5. Mai 1945 bemängelte der kommandierende Offizier des Wiesbadener Detachments, Oberst Cowart, manche »Wiesbadener hätten den Ernst der Lage und ihre Mitverantwortung an der ganzen Entwicklung überhaupt noch nicht erfasst. […] Aachen, Jülich, Bonn, Koblenz, Düren und viele andere Städte der Umgebung seien vollständig zerstört. Wiesbaden habe das Glück gehabt, nicht so schlimm betroffenen zu sein. Da sei es klar, dass Wiesbaden sehr viel an die notleidenden anderen Städte abgeben müsse.«
Die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai war für die Mehrheit der Deutschen ein Moment der Befreiung. Mit uneingeschränkte Freude und politischer Genugtuung reagierten diejenigen, die sich im Untergrund um den Aufbau antifaschistischen Widerstands bemüht hatten. Viele Deutsche sahen den Kriegsausgang zwar als Niederlage, die ihnen persönlich aber wenig oder nichts bedeutete. Für sie war entscheidend, dass sie nicht länger als »Kanonenfutter« missbraucht oder wegen »Defätismus« verfolgt werden konnten und dass sie dem Irrsinn der Angst endlich entkommen waren. Wieder andere standen vor einem Scherbenhaufen. Ihre aktive Beteiligung an der Errichtung eines »1000-jährigen Reiches« deutscher Vorherrschaft hatte in einer totalen Pleite geendet, die Millionen Tote gekostet hatte. Nur den wenigsten von ihnen kam in den Sinn, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, dass sie Teil und Mitverantwortliche eines einzigarten Verbrechens geworden waren. Die meisten von ihnen verharrten in schamlosem Schweigen und murmelndem Trotz. Doch egal, wo die Deutschen politisch auch standen – von den Amerikanern nahmen alle, was sie an Nutzbringendem kriegen konnten. Bei aller Bereitschaft zur pragmatischen Kooperation wurde in der Regel eine vorsichtige Distanz zu den »neuen Herren« gewahrt. Die offiziellen deutsch-amerikanischen Freundschaftsbekundungen fanden so im Nachkriegsalltag nur ausnahmsweise einen Niederschlag in persönlicher Nähe, guten nachbarschaftlichen Verhältnissen und seltenen Eheschließungen.
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